s geht nirgends bunter zu als auf dieser Welt, hat Jürnjakob erkannt, und was ihn daran verinteressierte, das bekuckte er, und was ihn nicht verinteressierte, daran schoss er vorüber. Wie das eben so ist, wenn man jung ist. Da denkt man nicht lange nach. Denn siehe, secht Jürnjakob, wer vorwärts will und siegen will, der muss jung sein und Glauben haben.
Aber wenn die Menschen alt werden, weiß Jürnjakob, und die Beine nicht mehr recht vorwärts wollen, dann fangen die Gedanken an zu wandern, und sie wandern rückwärts. Dann sieht man, wie sich die Welt doch verändert hat. Mit den Träumen zum Beispiel, glövt hei, da ist heutzutage auch nichts mehr mit los, wo alles schlechter wird in der Welt. Das sei genau wie mit dem Wetter. So schönes Wetter wie früher gibt es gar nicht mehr, weil eben alles schlechter wird auf dieser Welt.
Besonders wenn man als alter Mensch den Winter über im Hause sitzt, verfällt man aus Einsamkeit leicht ins Sinnieren. Dann sind Schinken und Speck eine angenehme Gesellschaft für eine einsame Seele, hat Jürnjakob festgestellt. Manchmal bekommt man vielleicht Besuch und freut sich, weil das der Mensch im Winter gern hat, wenn er sich dann und wann einen neuen Menschen anbesehen kann. Das gilt erst recht, wenn der Besuch ein junges, übermütiges Mädchen ist; denn, givt Jürnjakob tau, das hat ein alter Mann gern, wenn ein großes, schönes Mädchen ihm mit Lachen ein paar Hände voll Schnee an den Kopf wirft.
Wenn man den Winter über im Hause sitzt, secht Jürnjakob, dann macht man sich auch so seine Gedanken über das, was man liest. In der Jugend tut man das nicht. Aber nun werde er bei manchen Sachen stutzig, secht hei, und fange an zu denken und müsse mit dem Kopf schütteln, und dann sagt er: Das ist doch Unsinn, was da geschrieben steht. Wieschen antwortet dann: Jürnjakob, du hast von dem vielen Lesen Mehlwürmer im Kopf gekriegt.
Es ist am Ende ganz gut eingerichtet im Leben, dass der Mensch manchmal inwendig einen Puff kriegt, wenn er alt wird, secht Jürnjakob. Er muss sich dann sowieso öfter hinsetzen und sich verpusten. Er hat dann auch mehr Zeit, nachzudenken über inwendige Sachen. Jürnjakobs Mutter hat auf ihrem Sterbebett zu ihm gesagt: Du musst dir Zeit lassen, dass du mal zur Besinnung kommst; Besinnung tut dem Menschen nötig, denn er ist nicht bloß zum Arbeiten da.
In stillen Augenblicken, wenn er sich besinnen will, geht Jürnjakob dann auf den Friedhof. So wie die Menschen nun einmal getrachtet sind, tut es ihnen ganz gut, wenn sie dann und wann mal zwischen Gräbern stehen und sich mit den Toten bereden, secht hei. Denn das haben die Toten gern, dass man sie lieb behält und sich in der Stille so'n bisschen mit ihnen beredt. Und für die Lebenden sei das auch ganz gut, wenn sie sich mal über sich selbst besinnen.
Manchmal überkommen einen alles solche Gedanken, die im Schummern aus den Winkeln und Ecken der Stuben und des Herzens aufsteigen, secht Jürnjakob. Und wenn man alt ist, dann ruht man sich aus bei seinen Erinnerungen. Es mag sein, dass zu viel Erinnerungen vom Übel sind, aber ihm sind seine Erinnerungen etwas Schönes und Heiliges.
Zu diesen Erkenntnissen ist Jürnjakob am Ende seines Leben gelangt.
Foto: Kirch Jesar, barocke Fachwerkkirche, ein Kleinod der
Griesen Gegend (1717 neu erbaut, 1847 erweitert, bes. um den Turm, 1995-2004 umfangreich restauriert).
Ein Foto des Altarraums befindet sich auf der Seite
Bilder.